Montag, 29. April 2013

"From Mein Kampfism to CDUism" oder: Wer erforscht eigentlich so Deine Meinung?

Wir haben es gelesen, Frau Noelle-Neumann ist gestorben. Doch wer war sie? 
Das Onlineportal der Wochenzeitung DIE ZEIT klärt auf

"Mithilfe ihres Instituts in dem kleinen Ort Allensbach bei Konstanz wurde Elisabeth Noelle-Neumann zu einem der einflussreichsten Medienmenschen der Bundesrepublik."

Und, wer hätte das ahnen können, wer hätte sich überhaupt dafür interessiert, aber doch, siehe da, Überraschung, ein Zeitzeuge sagt aus:

"Dr. Elisabeth Noelle-Neumann war immer eine Anhängerin des Hitler-Regimes. Ihre Veröffentlichungen in den Frankfurter Zeitungen sind bei den Akten und enthalten reines Nazi-Gift." Doch damit nicht genug. "Am Ende des Krieges", heißt es in seinem Bericht weiter, "hielt Dr. Noelle-Neumann beim Verhör durch den Unterzeichneten an ebendiesen ideologischen Prinzipien fest."

Na sowas! Aber das hat ihre spätere Meinungsforschung bestimmt rein gar nicht beeinflusst. Oder? 

"Noelle schrieb für Zeitungen wie Das Reich und genoss die besondere Sympathie von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels. Kurz nach dem Krieg, 1948, gründete die 32-Jährige zusammen mit dem vier Jahre älteren Journalisten und späteren CDU-Politiker Erich Peter Neumann (den sie 1946 geheiratet hatte) in Allensbach das Institut für Demoskopie."

Den Rest kann man sich ja fast denken. 

"In der Tat ging es steil bergauf. Während in Allensbach bereits an die zwanzig Mitarbeiter beschäftigt waren, sorgte Erich Peter Neumann in Bonn für weitere Aufträge. Der endgültige Durchbruch kam im Juni 1951, als sich – was heute befremdlich wirkt, da Regierungs- und Parteiarbeit streng geschieden sind – das Kabinett unter Adenauer offiziell auf eine Wahlkampfhilfe durch Noelle-Neumanns Institut festlegte. Im Januar 1952 bekamen die Allensbacher vom Bundespresse- und Informationsamt 50.000 Mark an "Sondermitteln" überwiesen. Zu Beginn des nächsten Jahres dann schickte Neumann für die CDU 85 Lautsprecherwagen durchs Land – antikommunistische Propaganda vom Lautsprecherwagen war genau das, was NSDAP-Parteigenosse 4316797 Neumann in seiner Potsdamer Ausbildungskompanie für den Einsatz an der Ostfront gelernt hatte. Der Unionssieg 1953 wurde zum Triumph: Noelle-Neumanns Name war jetzt republikweit bekannt; der Spiegel hob sie auf den Titel."


Guckloch des alten Herrn: Die Meinungsforscherin als Teilhirn Adenauers

 
"Einer ihrer schärfsten Kritiker von damals allerdings, Frederick W. Williams, blieb bei seiner Sicht der Dinge. Für ihn wechselte Noelle-Neumann nach dem Krieg, so schrieb er noch 1992 in einem privaten Brief an einen alten Geheimdienstkollegen, lediglich "from Mein Kampfism to CDUism".
Ein böses Wort, das einem in den Sinn kommt, wenn man durch das – weitgehend vergessenene – wissenschaftliche Werk der Mainzer Professorin streift. Schon in ihrer Dissertation von 1940 hatte sie über Kommunikationsprozesse zwischen einem Führer und den von ihm Geführten nachgedacht. Bevölkerungsumfragen, so heißt es da, eröffneten die Aussicht, "in die Gedanken, Gewohnheiten und Stimmungen einer beliebig großen anonymen Menge Menschen einzudringen. In unserem Zeitalter des Zusammenschlusses der Menschen zu gewaltigen Massen oder organischen Volkskörpern [erscheint das] als ein so echter Gewinn, sei es für die Meinungsführung [...], dass es fast wie eine Verpflichtung scheint [...], den Gedanken der Massenbefragungen in irgendeiner Form auszuwerten." Demoskopie dient demnach nicht dazu, die Bevölkerung nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu befragen, sie also als demokratischen Souverän anzuerkennen. Sondern dazu, Menschen zu manipulieren und zu beherrschen – natürlich nur zu ihrem Vorteil.
Überraschender- oder auch weniger überraschenderweise kann man desgleichen noch 1996 bei ihr lesen: "Wer eine größere Zahl von Menschen beherrschen und lenken will", heißt es in ihrem Buch Alle, nicht jeder, "ist zum Mehrzahldenken gezwungen, und umgekehrt: Denken im Mehrzahlbereich ermöglicht die Machtausübung."
Doch nicht nur als Wissenschaftlerin, auch als Journalistin blieb sie den Erkenntnissen ihrer Jugend treu. Bis ins hohe Alter oft in Talkshows zu Gast, erschien ihr letzter großer Artikel im April 2003 in der Welt, sieben Jahre vor ihrem Tod. Er handelt von Nostradamus, dem französischen Propheten – und war zum größten Teil stillschweigend einem Artikel entnommen, den Elisabeth Noelle im Juni 1940 für die Allgemeine Zeitung geschrieben hatte."

Bestens vernetzt. Hier mit Kanzler und anderen (Meinungs-) Führern und Forschern. (Originallink hier)


Wir bedanken uns bei ZEIT.DE und dem Autor Jörg Becker für seine ausführlichen Recherchen!


Becker lehrte Politikwissenschaft an den Universitäten Marburg und Innsbruck und lebt in Solingen.

Mehr zum Thema in seinem Buch Elisabeth Noelle-Neumann. Demoskopin zwischen NS-Ideologie und Konservatismus, das Ende des Monats im Schöningh-Verlag, Paderborn, erscheint (375 S., 34,90 €).






Weiterführende Artikel:
http://www.textarbeit.net/noelle.htm
http://www.stefan-niggemeier.de/blog/elisabeth-noelle-neumann-brontal/



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