Samstag, 18. August 2012

"Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie Meinungsäußerung schwerlich gedeihen."

Wir brauchen mahnende Worte. Gute Verfassung, schlechte Aussichten. Die Armee bekommt peu à peu mehr Macht. Sie darf nun in Ausnahmefällen (die natürlich scheinbar eng umrissen, aber letzthin reichlich vage beschrieben sind) ihre Waffen im Innern des Landes einsetzen, auch gegen menschliche Ziele.

Wer kann das wollen? Und warum? Welche neue Werkzeuge, deren menschenrechtlichen Risiken nicht abzusehen sind, schafft sich die Regierung hier? Was sagen die Parteien dazu?

Und wie werden "die Medien" uns das in den nächsten Zeiten schmackhaft machen?

Foto: Bundeswehr, Flickr, gefunden auf verfassungsblog.de steht unter folgender Creative Commons-Lizenz


Einer der Verfassungsrichter, Reinhard Gaier, hat zudem ein Sondervotum beigesteuert - absolute Pflichtlektüre für BürgerInnen:

Das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung schließt den 
Kampfeinsatz der Streitkräfte im Inneren mit spezifisch militärischen 
Waffen sowohl in Fällen des regionalen (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG) wie in 
Fällen des überregionalen (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG) 
Katastrophennotstandes aus. Mit seiner Antwort auf die zweite 
Vorlagefrage würdigt das Plenum weder hinreichend den Wortlaut der 
einschlägigen Verfassungsnormen unter Berücksichtigung der 
Entstehungsgeschichte noch erfolgt eine systematische Auslegung mit 
Blick auf die Einheit der Verfassung als „vornehmstes 
Interpretationsprinzip“. Insoweit hat der Plenarbeschluss im Ergebnis 
die Wirkungen einer Verfassungsänderung. 

1. Auch und gerade seitdem nach der Notstandsgesetzgebung anders als vor 
1968 der Einsatz des Militärs im Inneren nicht mehr schlechthin 
unzulässig ist, bleibt strenge Restriktion geboten. Es ist 
sicherzustellen, dass die Streitkräfte niemals als innenpolitisches 
Machtinstrument eingesetzt werden. Abgesehen von dem extremen 
Ausnahmefall des Staatsnotstandes, in dem nur zur Bekämpfung 
organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer als letztes 
Mittel auch Kampfeinsätze der Streitkräfte im Inland zulässig sind (Art. 
87a Abs. 4 GG), bleibt die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit 
allein Aufgabe der Polizei. Ihre Funktion ist die der Gefahrenabwehr und 
nur über hierfür geeignete und erforderliche Waffen darf die Polizei 
verfügen; hingegen sind Kampfeinsätze der Streitkräfte auf die 
Vernichtung des Gegners gerichtet, was spezifisch militärische 
Bewaffnung notwendig macht. Mit dieser strikten Trennung zieht unsere 
Verfassung aus historischen Erfahrungen die gebotenen Konsequenzen und 
macht den grundsätzlichen Ausschluss der Streitkräfte von bewaffneten 
Einsätzen im Inland zu einem fundamentalen Prinzip des Staatswesens. Wer 
hieran etwas ändern will, muss die zu einer Verfassungsänderung 
erforderlichen parlamentarischen Mehrheiten für sich gewinnen, was 
Anfang 2009 nicht gelungen ist. Es ist nicht Aufgabe des 
Bundesverfassungsgerichts, hier korrigierend einzugreifen. 

2. Dass ein Einsatz der Streitkräfte mit militärischer Bewaffnung in 
beiden Fällen des Katastrophennotstandes von Verfassungs wegen untersagt 
ist, lässt sich mit einer historischen Verfassungsinterpretation, vor 
allem aber mit einer systematischen Auslegung des Grundgesetzes 
begründen. Entgegen der Auffassung des Plenums hat der Rechtsausschuss 
des Bundestages im Rahmen der Notstandsgesetzgebung im Jahr 1968 eine 
klare Entscheidung getroffen und in seinem damaligen Bericht, der 
Grundlage für den Gesetzgebungsbeschluss des Bundestages zur 
Verfassungsänderung war, unmissverständlich vorgeschlagen, den Einsatz 
militärisch bewaffneter Streitkräfte auf den Staatsnotstand als eine 
besonders gefährdende Situation des inneren Notstandes (Art. 87a Abs. 4 
GG) zu beschränken. Zudem lässt das Plenum völlig außer Acht, dass zur 
Zeit der Notstandsgesetzgebung eine weitergehende Zulassung des 
Einsatzes militärisch bewaffneter Einheiten der Streitkräfte im Inneren 
politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Im Einklang damit steht die 
Systematik, die das Grundgesetz mit der Implementierung der 
„Notstandsverfassung“ erfahren hat. Die strikte Trennung der Regelung 
des Katastrophennotstandes einerseits von der des inneren Notstandes 
andererseits belegt, dass diese beiden Fälle des Streitkräfteeinsatzes 
im Inneren völlig unterschiedliche, sich nicht überschneidende 
Anwendungsbereiche haben und deshalb nicht durch die Zulassung 
spezifisch militärischer Bewaffnung auch in Fällen des 
Katastrophennotstandes vermengt werden dürfen. Zudem lässt auch der 
Umstand, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der 
Bundesregierung einem Kollegialorgan die Zuständigkeit für die 
Einsatzentscheidung zuweist, nur den Schluss zu, dass er von vornherein 
den Einsatz spezifisch militärischer Waffen im Katastrophennotstand 
nicht für erforderlich hielt und damit auch nicht legitimieren wollte. 
Denn Gefährdungslagen, denen effektiv nur mit dem Einsatz solcher Waffen 
mit Vernichtungskraft begegnet werden kann, sind dadurch gekennzeichnet, 
dass ihrer Beseitigung jede zeitliche Verzögerung abträglich ist. Daher 
wäre die Betrauung eines in der Entscheidungsfindung vergleichsweise 
schwerfälligen Kollegialorgans mit der Initiativbefugnis zum 
Einschreiten gerade auch mit Blick auf die vom verfassungsändernden 
Gesetzgeber angestrebte „wirksame Bekämpfung“ dysfunktional. 

3. Der Plenarbeschluss kann mit den von ihm entwickelten Kriterien eine 
Umgehung der engen Voraussetzungen des inneren Notstandes nach Art. 87a 
Abs. 4 GG durch die weniger strengen Voraussetzungen des 
Katastrophennotstandes nicht verhindern. Der Versuch der weiteren 
Eingrenzung des bewaffneten Streitkräfteeinsatzes durch das Erfordernis 
eines „unmittelbar bevorstehenden“ Schadenseintritts „von 
katastrophischen Dimensionen“ wird der nötigen Klarheit und 
Berechenbarkeit nicht gerecht. Es handelt sich um gänzlich unbestimmte, 
gerichtlich kaum effektiv kontrollierbare Kategorien, die in der 
täglichen Anwendungspraxis - etwa bei regierungskritischen 
Großdemonstrationen - viel Spielraum für subjektive Einschätzungen, wenn 
nicht gar voreilige Prognosen lassen. Das ist jedenfalls bei 
Inlandseinsätzen militärisch bewaffneter Streitkräfte nicht hinnehmbar. 
Im Schatten eines Arsenals militärischer Waffen kann freie 
Meinungsäußerung schwerlich gedeihen. 

4. Im Übrigen bietet der durch den Plenarbeschluss nun erweiterte 
Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Inneren für den Schutz der 
Bevölkerung namentlich vor terroristischen Angriffen keine messbaren 
Vorteile. Zwar mag es danach nunmehr zulässig sein, dass Kampfflugzeuge 
unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 LuftSiG „Luftfahrzeuge 
abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen 
oder Warnschüsse abgeben“. Die erfolgreiche Gefahrenabwehr durch solche 
Maßnahmen wird allerdings insbesondere in „Renegade“-Fällen deshalb 
wenig wahrscheinlich sein, weil der Abschuss von Flugzeugen, in denen 
sich Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden, mit dem Grundrecht 
auf Leben in Verbindung mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar 
ist und unzulässig bleibt. Es kommt hinzu, dass - auch nach der 
Auffassung des Plenums - ohne Verfassungsänderung allein die 
Bundesregierung nach Maßgabe des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG über den 
Einsatz militärischer Waffen gegen Luftfahrzeuge befinden kann, was 
angesichts des vergleichsweise kleinen deutschen Luftraums kaum jemals 
zu einer rechtzeitigen Maßnahme führen wird. Soll danach der Rahmen, den 
das materielle Verfassungsrecht für eine effektive Abwehr von Gefahren 
aus dem Luftraum lässt, genutzt werden, so ist trotz der nun erweiterten 
Zulässigkeit von Kampfeinsätzen eine Verfassungsänderung gleichwohl 
unvermeidlich." 

Ob diese Worte nun mahnend sind oder nicht - es scheint hier Kräfte zu geben, die es kaum abwarten können, endlich mal wieder die Verfassung zu ändern. Man reibt sich die Hände mit den Richtern. Der kleine Finger wechselt den Besitzer.

WEITERLESEN HIER:

http://verfassungsblog.de/verfassungsgericht-ermglicht-ungebremsten-einsatz-des-verfassungsgerichts-im-inneren/

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-063.html

http://www.sueddeutsche.de/politik/bundeswehreinsaetze-im-inland-karlsruhe-faellt-katastrophen-entscheidung-1.1443401

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bundeswehreinsatz-im-inland-die-waffen-der-richter-11859589.html

http://www.fr-online.de/politik/grundgesetzartikel-35-bundeswehr-darf-im-inland-eingreifen,1472596,3229704.html

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